Philip K. Dick’s Electric Dreams ist keine Serie über die Zukunft, sie ist ein Ritt durch die Geschichte der Science-Fiction. Es geht um die Wünsche, Hoffnungen und Träume der letzten hundert Jahre, die sich immer in die Zukunft projizieren lassen und doch der Vergangenheit entspringen und der Gegenwart verpflichtet sind. Die Episoden der mit Geraldine Chaplin, Timothy Spall, Steve Buscemi und anderen exzellent besetzten, zehnteiligen Amazon Prime-Anthologie-Serie basieren auf Kurzgeschichten des amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Jede Folge funktioniert damit als fünfzigminütiger Kurzfilm. Philip K. Dicks Erzählungen dienten bereits Meilensteinen des Genres wie Blade Runner (1982), Die totale Erinnerung – Total Recall (1990) und Minority Report (2002) als Vorlage.
In Philip K. Dick’s Electric Dreams geht es aber weniger um die großen Sci-Fi Motive als um sehr persönliche Geschichten. Im Hintergrund des Geschehens zeichnen sich vage die gesellschaftlichen Umstände der jeweiligen Welt ab, doch im Fokus stehen vor allem die Handlungsspielräume der Figuren. Es geht eher um ihre Entscheidungen, Wünsche und Ängste als um die sozialen und politischen Umfelder, in denen sie sich bewegen. Meist steht dabei in der einen oder anderen Form die Liebe, sei es in Partnerschaften oder zwischen Eltern und Kindern, im Mittelpunkt. Die jeweiligen Settings unterscheiden sich stark; von einer touristischen Raumstation in ferner Zukunft über einen englischen Kleinstadtbahnhof der Gegenwart bis hin zur futuristischen Großstadt mit fliegenden Autos werden sowohl spannende Ansätze als auch bekannte Stereotype ausgelotet. Letztlich bleiben all diese Welten aber randständig.
Damit unterscheidet sich die Serie von anderen, nach längerer Durststecke in den Serienmarkt zurückgekehrten Science-Fiction-Geschichten. So verschiedene Produktionen wie The Expanse, Black Mirror und zuletzt Dark greifen auf klassische Themen dieses Genres zurück: Weltraumkolonisationen, Technik-Utopien und -dystopien und Zeitreisen. Auf den ersten Blick scheint gerade Black Mirror als Referenzpunkt für Philip K. Dick’s Electric Dreams zu dienen, da es sich in beiden Fällen um Anthologie-Serien handelt, die sich in jeder Episode auf eine neue Realität einlassen. Doch während Black Mirror gezielt Tendenzen, Ästhetiken und Ängste unserer Zeit aufgreift und weiterdenkt, verlagert Philip K. Dick’s Electric Dreams den Fokus eher auf die Historizität.
Zwar spielen Themen wie Virtual Reality, Künstliche Intelligenz und Klimawandel eine zentrale Rolle, doch scheint die Serie zu diesen Diskursen nichts Neues hinzufügen zu wollen. Stattdessen geht es um die Aufarbeitung der bereits gegebenen Antworten. Das beherrschende Thema der Science-Fiction, die Frage, wie wir als Menschheit morgen leben werden, wird hier immer auf der Figurenebene sehr persönlich und emotional beantwortet. Jede Folge stellt, unterschiedlich explizit, immer wieder aufs Neue die Frage der Matrix-Filme: Welche Pille willst Du schlucken, welche Welt wählst Du? Dass die Serie diese Wahl so stark ins Zentrum rückt, ist vielleicht ihr größter Anachronismus: leben wir doch gerade in einer Zeit, in der die meisten Zukunftsvisionen auf den dystopischen Gedanken hinführen, dass so etwas wie eine Wahl längst nicht mehr existiert. Hinzu kommt eine Mediennostalgie, die durch Serien wie Stranger Things ein momentanes Hoch erlebt. In Episode 3, „The Commuter“, realisiert Ed Jacobson (Timothy Spall) durch das Schauen von VHS-Aufnahmen seines Sohns als Kind, dass eine perfekte Welt ohne diesen für ihn nichts wert ist, und Ed Morris (Steve Buscemi) in „Crazy Diamond“ (Episode 4) klammert sich an eine Schallplatte, während sein Leben um ihn herum zerfällt.
In ihren besten Momenten schafft es die Serie, daraus eine selbstreflexive Kraft zu ziehen und ihren titelgebenden Selbstanspruch zu verwirklichen, sich mit der filmischen Science-Fiction als kollektivem Traum zu beschäftigen. Dann geht es nicht um die Zukunft, sondern darum, was es heißt von ihr zu träumen und welche Rolle das Geschichtenerzählen, sei es in musikalischer, literarischer oder filmischer Form, dabei spielt. Leider sind diese Momente immer nur von kurzer Dauer und werden von Szenen oder ganzen Episoden durchbrochen, bei denen auch der fantastische Cast nicht über das Gefühl hinwegtäuschen kann, man würde alte Folgen einer mittelmäßigen 1990er-Jahre-Fernseh-Space-Opera schauen. Besonders deutlich wird das in „Human Is“ (Episode 6), einer Episode, in der es eigentlich um Rohstoffknappheit und die unmenschlichen Kämpfe um Ressourcen gehen könnte, oder um die Auswirkungen arrangierter Partnerschaften in einem durchhierarchisierten Staat. Stattdessen schauen wir aber einer Trophywife-Figur (Essie Davis) in einer futuristischen Erdkolonie dabei zu, wie sie durch einen virtuellen Wald joggt, traurig ihre Orchideen streichelt, ein Bordell besucht und sich im Anschluss an jede dieser Aktionen entweder aufreizend langsam an- oder auszieht. Ihr aus dem Krieg geläutert zurückkehrender Ehemann (Bryan Cranston) beobachtet sie währenddessen durch halbgeöffnete Türen. An diesen Punkten der Serie kippt der Versuch einer Aufarbeitung der Science-Fiction-Geschichte in abgeschmackte Klischees des Genres und aus der träumerischen Melancholie wird die Wiederholung reaktionärer Rollenbilder. In diesen Momenten ist es schwer, sich dem Gedanken zu entziehen, ob die hier als Vorlage gewählten Kurzgeschichten möglicherweise aus gutem Grund bisher noch nicht verfilmt worden sind.
Auch wenn es um die ästhetische Ausgestaltung der einzelnen Welten geht, bleibt Philip K. Dick’s Electric Dreams allzu häufig hinter den Erwartungen zurück. Indem jede einzelne Episode eine andere Welt aufruft, bleibt den Zuschauer*innen nur wenig Zeit, die internen Mechanismen dieser Realität zu begreifen. Viele der Folgen erzählen Welten, deren Gesellschaften unterkomplex bleiben müssen, da sie zu groß sind, um in der Kürze der Zeit erzählt werden zu können. Das wird insbesondere in der ersten Episode („The Hood Maker“) zum Problem. Unentschieden zwischen der Frage, ob es darin um eine unwahrscheinliche Liebesbeziehung, eine Krimigeschichte, oder einen faschistoiden staatlichen Unterdrückungsapparat gehen soll, bleibt am Ende der Eindruck einer unterentwickelten Liebesgeschichte, die auf einen flauen Krimi trifft. Die Frage, wer in diesem Staat eigentlich wen unterdrückt und warum, bleibt nicht nur unbeantwortet, sondern auch bedeutungslos.
Die Serie ist da am stärksten, wo sie ihre Auslassung zum ästhetischen Prinzip macht und die Weirdness von Träumen als Vorlage nutzt und gar nicht erst versucht, ein kohärentes Ganzes zu erzeugen. Dass es durchaus möglich ist, mit so einem ästhetischen Konzept sehr schnell ein Gefühl für die jeweilige Realität zu erzeugen, beweist Episode 4 („Crazy Diamond“). Zwar erfahren wir wenig über die konkreten Funktionsweisen der Welt, doch zieht die quietschbunte Welt, die aussieht wie eine düstere Kreuzung aus Pushing Daisies und den Teletubbies, sofort in ihren Bann. Mitten an einer Straße durch leuchtend grüne Felder steht ein kleines Häuschen, neben dem eine Frau mit Schweinekopf steht. Sie scheint für den Staat zu arbeiten und irgendeine Form von Kontrollfunktion zu erfüllen. Genaueres erfahren wir nicht und das ist auch gar nicht nötig. Die Episode funktioniert so gut, weil sie wenig erklärt und vieles einfach zeigt – eben wie das Auftauchen aus einem seltsamen Traum.
Philip K. Dick’s Electric Dreams ist ein spannendes Experiment. Die Serie weckt die Erwartung, in jeder Folge nicht nur in eine neue Geschichte, sondern gleich in eine ganz neue Welt eintauchen zu können. Immer wieder gelingt es, eindrücklich schöne Bilder zu erzeugen, welche die klassische Fernsehästhetik durchbrechen. Doch bleiben diese Momente zu rar gesät. Auch der Versuch, spielerisch mit dem Erbe der filmischen Science-Fiction umzugehen und verschiedene Zeiten und Ideen in einem Bild zu verschmelzen, ist nicht immer erfolgreich. Allzu oft machen die entstandenen Episoden einen unentschlossenen Eindruck. Sie scheinen zerrissen zwischen dem Anspruch, einerseits persönliche Geschichten zu erzählen und andererseits mit jeder Folge eine neue Box visueller Einfälle zu eröffnen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die nötige Ambivalenz, um die Zuschauer*innen selbst weiterdenken zu lassen, sich in den verschiedenen Realitäten zu verlieren und die Frage danach immer neu und anders zu beantworten, in welcher Welt wir leben wollen.